Mindestlohn in der Pflege – der richtige Weg zur Verbesserung der Bedingungen in der Pflege?

Mindestlohn in der Pflege – der richtige Weg zur Verbesserung der Bedingungen in der Pflege?

Die Pflegekommission hat sich auf höhere Mindestlöhne für die Beschäftigten in der Altenpflege geeinigt. So sollen die Mindestlöhne für Pflegehilfskräfte im Osten und im Westen in vier Schritten bis zum 01.04.2022 auf einheitlich 12,55 Euro pro Stunde steigen. Daneben wird es auch Pflegemindestlöhne für qualifizierte Pflegehilfskräfte (Pflegekräfte mit einer mindestens 1-jährigen Ausbildung und einer entsprechenden Tätigkeit) und für Pflegefachkräfte geben.

Damit sind künftig insgesamt drei unterschiedliche Kategorien von Pflegemindestlöhnen zu unterscheiden. Die Mindestlöhne für qualifizierte Pflegehilfskräfte werden in drei Schritten bundeseinheitlich bis zum 01.04.2022 auf 13,20 Euro steigen. Die Mindestlöhne für Pflegefachkräfte werden bundeseinheitlich ab dem 01.07.2021 auf 15 Euro festgesetzt und noch einmal ab dem 01.04.2022 auf 15,40 Euro gesteigert.

Ferner soll neben dem gesetzlichen Urlaubsanspruch ein zusätzlich bezahlter Urlaub eingeführt werden. Dieser beträgt bei Beschäftigten mit einer 5-Tage-Woche für das Jahr 2020 fünf Tage. Für die Jahre 2021 und 2022 soll der Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Urlaub jeweils sechs Tage betragen.

Geplante Erhöhungsschritte

Geplante Erhöhungsschritte

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales muss zum Inkrafttreten der vorliegenden Empfehlungen der Pflegekommission jetzt noch eine Verordnung erlassen. Parallel hierzu verhandelt ein Arbeitgeberverband der weltlichen Wohlfahrtsverbände mit der Gewerkschaft Ver.di über einen Tarifvertrag, der nach dem Willen der Bundesregierung für allgemeinverbindlich erklärt werden soll. Da auch ein Tarifvertrag nichts anderes ist als die Festlegung von Mindestarbeitsbedingungen, kann man den Mindestlohn, wie er hier vorgelegt worden ist, schon einmal als Maßstab für die Konsequenzen in der Pflegebranche heranziehen. Grundsätzlich ist die Festlegung von Mindestarbeitsbedingungen – wie hier durch Mindestlöhne für unterschiedliche Qualifikationen in der Pflege und durch die zusätzlichen Urlaubstage – ein geeignetes Mittel, um ein unterstes Qualitätsniveau festzulegen. Dies führt auf dem ersten Blick zu einer Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs.

Hinsichtlich der Festsetzung des Mindestlohns muss man allerdings bedenken, dass dieser insbesondere in Ballungsgebieten nicht ausreicht. Denn die tatsächlich gezahlten Gehälter liegen hier schon seit Jahren über dem Mindestlohn. Hinzu kommt, dass die Gehälter durch verschiedene Sonderzahlungen, Zuschläge, steuerliche Optimierungen usw. ergänzt werden.

Zwar handelt es sich beim Mindestlohn – wie der Name schon andeutet – um eine Grenze, die nicht unterschritten werden darf, und damit um Mindestbedingungen. Gleichwohl stellt sich die Frage der Refinanzierung durch die Kostenträger, wenn in anderen Gebieten die Pflegeeinrichtungen aufgrund der geringen Vergütung der Pflegeleistungen durch die Kostenträger einerseits und der Erhöhung der Personalkosten wegen des Mindestlohns andererseits defizitäre Einsätze fahren.

Jeder Pflegedienst möchte seinen Beschäftigten einen deutlich höheren Lohn zahlen, wenn die Vergütung auskömmlich wäre. Gerade aber die Frage der Finanzierung wird von der Politik derzeit aufgeschoben. Die Pflegedienste werden in die Problematik geraten, dass sie zunächst die höheren Löhne an die Beschäftigten zahlen müssen, bevor mit den Kostenträgern eine auskömmliche Vergütung vereinbart werden kann. Diese Vorleistung wird dazu führen, dass die Einrichtungen, die über keine ausreichenden Rücklagen verfügen, schließen müssen.

Dieser Effekt wird sich noch verstärken, wenn es zu einem flächendeckenden Tarifvertrag in der Pflege kommen sollte. Man stelle sich nur die Situation vor, wenn eine Pflegeeinrichtung höhere Vergütungen als Tarifniveau zahlt oder zahlen will. Gemäß § 84 Absatz 2 Satz 5 SGB XI kann die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Bezahlung von Pflegepersonal über dem Tarifniveau unwirtschaftlich ist bzw. als unwirtschaftlich angesehen und von den Kassen nicht gezahlt wird.

Pflegedienste sind regelmäßig darauf angewiesen, dass die Gehälter schon aufgrund der begonnenen generalistischen Ausbildung mit den Gehältern der umliegenden Krankenhäuser vergleichbar sein müssen, wenn sie weiter existieren wollen. Ohne eine ausreichende Finanzierung durch die Kostenträger können die ambulanten Pflegedienste, insbesondere im ländlichen Bereich, nur dann mithalten, wenn sie vergleichbare oder höhere Löhne zahlen. Dies führt unweigerlich zu defizitären Einsätzen. Wie lange es dann dauert, bis der Dienst in die Insolvenz geht, kann man sich leicht ausmalen.

Wer sich z. Z. die Stellenangebote auf dem Pflegemarkt ansieht, wird bemerken, dass insbesondere von Krankenhäusern z.T. mehrere tausend Euro ausgelobt und gezahlt werden, wenn eine qualifizierte Pflegefachkraft ihren aktuellen Job, beispielsweise bei einem ambulanten Pflegedienst kündigt, und dort im Krankenhaus zu arbeiten beginnt. Diese Kopfprämien haben zur Konsequenz, dass sich dann die meisten Pflegekräfte aus rein finanziellen Gründen für eine Arbeit im Krankenhaus entscheiden werden und dort fehlen, wo sie eigentlich gebraucht werden. Dies geht zu Lasten derjenigen Pflegekräfte, die sich bewusst für die ambulante Pflege entschieden haben.

Als Fazit lässt sich damit nur festhalten, dass die Festlegung von Mindestlöhnen oder Tarifwerken nur ein Teil einer Lösung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege ist, der aber mit der gleichzeitigen Regelung der Finanzierung untrennbar verbunden ist. Solange diese nicht geregelt ist, führt der Mindestlohn bzw. ein Tarifvertrag nur dazu, dass die Pflegedienste und damit die Pflege vor einer existenziellen Herausforderung stehen.

Dr. Christian Schieder
Arbeitgeber- und BerufsVerband Privater Pflege e.V. Hannover


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