Mangelfreie Prothetik und trotzdem kein Honorar?!

Mangelfreie Prothetik und trotzdem kein Honorar?!

Mit einer fragwürdigen Argumentation hat das Oberlandesgericht München einem Zahnarzt das Honorar für ein Langzeitprovisorium verwehrt, obwohl dieses anfänglich mangelfrei angefertigt worden war. Demnach liege eine Unbrauchbarkeit der Prothetik auch dann vor, wenn sie nur einen kurzen Zeitraum (hier 2 Monate) genutzt werden kann (OLG München, Urt. v. 15.02.2017, AZ: 3 U 2991/16). In diesem Falle stehe dem Zahnarzt kein Honoraranspruch zu.

Der Fall (gekürzt):
Im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung wurde eine Patientin u.a. in Regio 45-47 mit einem Langzeitprovisorium versorgt. Bereits zwei Monate nach Einsetzen dieses Zahnersatzes kam es jedoch aufgrund eines mitursächlichen Behandlungsfehlers des Zahnarztes zum Verlust des Zahnes 44, sodass die langzeitprovisorische Prothetik danach nicht mehr nutzbar war. Es war eine neue Versorgung in Regio 43 bis 47 erforderlich. Die Patientin brach die Behandlung ab, verweigerte die Zahlung des Honorars und verlangte von dem Zahnarzt Schadensersatz. Das Landgericht München entschied noch in erster Instanz, dass das Honorar für das Langzeitprovisorium Regio 45-47 nicht zu kürzen ist (LG München, Urt. v. 05.04.2016, AZ: 10 O 16568/13). Denn die Prothetik war bei Eingliederung mangelfrei und die Patientin nutzte das Langzeitprovisorium über zwei Monate. Das Honorar wäre dem LG zufolge nur dann entfallen, wenn die Prothetik von Beginn an unbrauchbar gewesen wäre. Schon die tatsächliche Nutzung über mehrere Wochen spreche aber gegen eine Unbrauchbarkeit.

Dem ist das Oberlandesgericht nun entgegen getreten.
Das OLG München hat in der Berufungsinstanz entschieden, dass das Honorar für das Langzeitprovisorium wegen Unbrauchbarkeit entfallen ist. Hierzu führt es in seinem Urteil aus:

„(…) Die Berufung hat insoweit Erfolg (…) als von einer – bis zum Verlust des Zahnes 44 – gegebenen Brauchbarkeit nicht ausgegangen werden kann. Nach den Angaben des Sachverständigen (…) war das Langzeitprovisorium von 45 auf 47 nach dem Verlust des Zahnes 44 wertlos, da zum Ersatz des Zahnes 44 ein Langzeitprovisorium von 43 über 45 auf 47 herzustellen sei. Dass der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung (…) auch angegeben hatte, vor dem Verlust des Zahnes 44 hätte das Langzeitprovisorium von 45 bis 47 seinen Zweck erfüllen können, insoweit sei es brauchbar gewesen (…), steht der Annahme einer insoweit nutzlosen Behandlung nicht entgegen. Denn ein Langzeitprovisorium, das für mehrere Monate oder einen noch längeren Zeitraum gedacht ist, kann nicht als brauchbar angesehen werden, wenn es – der Zahn 44 musste bereits (…) zwei Monate nach der letzten Behandlung (…), extrahiert werden – nur für einen kurzen Zeitraum seinen Zweck erfüllen kann.“

Üblicherweise liegt es im Risikobereich des Patienten, ob und wie lange ein Zahnersatz genutzt werden kann. Nimmt man das Oberlandesgericht nun beim Wort, so hätte ein Zahnarzt immer – auch unabhängig von einem verschuldeten Behandlungsfehler – das Risiko der Nichtnutzbarkeit der Versorgung zu tragen. Denn das Gericht knüpft für die Frage der Unbrauchbarkeit hier ausschließlich an die tatsächliche Nutzungsdauer an, unabhängig von einem Verschulden des Zahnarztes.

Dabei stützt sich das OLG München zunächst ebenso wie die Vorinstanz richtigerweise auf die bisherige Rechtsprechung, dass im Falle der Unbrauchbarkeit von Zahnersatz der Honoraranspruch des Zahnarztes entfällt (analog § 628 BGB).

In diesem Sinne hatte auch schon das Landgericht in der ersten Instanz argumentiert, jedoch mit anderem Ergebnis. Das OLG München hat diese Rechtsprechung nun auf die Fälle ausgeweitet, in denen ein zunächst mangelfreier Zahnersatz erst im Verlauf der weiteren Behandlung unbrauchbar wird. Freilich war die später eingetretene Unbrauchbarkeit auf einen Behandlungsfehler des Zahnarztes zurückzuführen, doch hieran knüpft das Oberlandesgericht seine Argumentation gerade nicht an. Es stellt ausschließlich auf die für ein Langzeitprovisorium zu kurze Nutzungsdauer ab.

In dem von dem OLG entschiedenen Fall mag das Ergebnis auf den ersten Blick annehmbar erscheinen. Immerhin hatte der Zahnarzt die nachträgliche Unbrauchbarkeit selbst verschuldet. Aufgrund des Behandlungsfehlers steht der Patientin sicherlich ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu. Dies hat auch die Vorinstanz im Grundsatz so entschieden. Die Höhe des Schadensersatzes bemisst sich stets nach den tatsächlich erlittenen Vermögenseinbußen. Die für eine neue Prothetik noch zu entstehenden Kosten waren aber nicht zu berücksichtigen, da die Patientin diese nicht hatte anfertigen lassen. Die zweite Instanz hat mit der Entscheidung nicht nur veranlasst, dass die Patientin die Prothetik über zwei Monate hinweg ohne Kosten nutzen konnte, sondern auch für die Zukunft die Gefahr begründet, dass Zahnärzte bei einer verminderten Tragedauer ihr Honorar riskieren. Letztlich würde diese Auffassung zu einer Art Garantiehaftung des Zahnarztes führen, auch in Fällen in denen die spätere Unbrauchbarkeit unverschuldet – z.B. aufgrund eines schicksalhaften Verlaufeintritt. Kann ein Patient die Prothetik nicht über den geplanten Zeitraum hinweg nutzen, riskiert der Zahnarzt sein Honorar.

Ob sich die Auffassung des Oberlandesgerichts München auch in Fällen der unverschuldeten Nichtnutzbarkeit in der Rechtsprechung durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Die Argumentation der Vorinstanz hingegen überzeugt eher und wird in der Sache auch der Risikoverteilung des Behandlungsvertrages gerecht.

Fazit:
Das Urteil des OLG München ist derzeit eine Einzelfallentscheidung und ergänzt den Schadensersatzanspruch eines Patienten bei vorliegendem Behandlungsfehler. Kaum möglich erscheint die Anwendung der Argumentation auf Fälle, in denen den Behandler kein Verschulden trifft und lediglich ein schicksalhafter Behandlungsverlauf vorliegt.

Kim-Victoria Friese, Rechtsanwältin
Rechtsanwaltskanzlei Buchmüller-Reiss, Köln


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