Die (zahn)ärztliche Behandlungsdokumentation

Die (zahn)ärztliche Behandlungsdokumentation

Die Pflicht zur Dokumentation der Behandlung durch den Behandler findet sich zunächst in den berufsrechtlichen Regeln für Ärzte (§ 10 MBOÄ) und Zahnärzte (§ 12 MBO-Z) – ist jedoch im Rahmen der Einführung des Patientenrechtegesetzes auch fest im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankert worden.

Die entscheidenden Regelungen hierzu finden sich deshalb heute in § 630f BGB, der die Pflicht zur Dokumentation der Behandlung und der Aufbewahrung regelt, in § 630g BGB, der das Recht des Patienten auf Einsichtnahme und Abschrift normiert und in § 630 h Abs. III BGB, der eine Beweislastumkehr dahingehend enthält, dass gesetzlich vermutet wird, dass eine unter Verstoß gegen die Dokumentationspflicht nicht aufgezeichnete Maßnahme (einschließlich der Aufklärung und Einwilligung) tatsächlich auch nicht durchgeführt wurde (Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 3 BGB).

1. Die Pflicht zur Dokumentation der Behandlung (§ 630f Abs. I, II BGB)
Das Gesetz bestimmt, dass der Behandelnde zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung verpflichtet ist, eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen und dabei sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen.

Die Aufzeichnung sollte während oder unmittelbar nach der Behandlung vorgenommen werden. Der Maßstab ist eher eng als großzügig und „duldet kein Hinausschieben auf irgendwann, wenn einmal in Ruhe Zeit ist“ (vgl. Spickhof, MedR, 3. Aufl. 2018, § 630f Rn.3 mwN).

Nach alledem sollte die Dokumentation direkt nach dem Behandlungsgeschehen vorgenommen werden. Insbesondere ist es zu empfehlen, Operationsberichte noch während der Operation zu diktieren bzw. direkt im Anschluss daran zu fertigen. Zumindest wird dann sichergestellt, dass die Abfassung noch von dem Erinnerungsvermögen des Operateurs getragen wird. Dabei ist auch der Zeitpunkt der Dokumentation in der Patientenakte zu dokumentieren, um den „unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang“ beweisfest werden zu lassen.

Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, soweit neben dem ursprünglichen Inhalt auch erkennbar bleibt, wann die (nachträgliche) Änderung/Korrektur vorgenommen wurde. Dies gilt auch für elektronisch geführte Patientenakten. Die elektronische Behandlungsdokumentation ist dabei durch besondere Sicherungs- und Schutzmaßnahmen vor undokumentierter Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßiger Verwendung zu schützen.

Aus Sicht des Gesetzgebers gehört die Dokumentation untrennbar zur Behandlung und dient primär der Diagnose- und Therapiesicherung. Sie ermöglicht dem Behandler über die Dokumentation der einzelnen Behandlungsschritte des Weiteren, sein medizinisches Handeln nachzuweisen und fachlich zu rechtfertigen. Darüber hinaus erfüllt die Dokumentation eine Beweisfunktion, bezogen auf die dokumentierten Maßnahmen, aber auch bezogen auf die Berechtigung der Vergütung für die durchgeführten Maßnahmen. Lediglich einfache Routinemaßnahmen sind von der Dokumentationspflicht ausgenommen, sofern es sich beim Behandler nicht um einen Berufsanfänger handelt.

Bezüglich negativer Befunde gilt, dass auch eine Untersuchung ohne positiven Befund nur dann nicht dokumentiert werden muss, wenn die Dokumentation aus medizinischen Gründen unüblich ist. In einfach gelagerten Sachverhalten kann die Bemerkung „o.B.“ genügen. Hingegen sind auch bestimmte negative Befunde immer dann ausdrücklich zu dokumentieren, wenn es sich um medizinisch besonders wichtige Befunde handelt oder ein konkreter Anlass zur Ausräumung eines bestimmten Verdachts bestand.

Auch die Aufklärung und Einwilligung des Patienten ist dokumentationspflichtig. Die Verwendung von Formularen kann das persönliche Gespräch ergänzen und vorbereiten. Die Formulare sind während des Aufklärungsgesprächs durch Unterstreichungen, Abhaken der besprochenen Themen und Einzeichnen von Grafiken zu individualisieren (vgl. Houben in: Jorzig, Handbuch Arzthaftungsrecht, 1. Aufl. 2018, S. 244). Neben der vollständigen Dokumentation der Aufklärungsinhalte hat ebenfalls der Vermerk über Datum, Uhrzeit und Unterschrift des aufklärenden Behandlers und des Patienten zu erfolgen.

Die Dokumentation hat in für beteiligte Fachpersonen verständlicher Form zu erfolgen. Eine Dokumentation in Laiensprache ist jedoch nicht erforderlich. Der Behandler darf Stichworte und Abkürzungen verwenden, solange diese verständlich und ohne Nachfrage für den (fiktiven) Nachbehandler nachvollziehbar sind. Ebenso muss die Dokumentation insgesamt leserlich und nachvollziehbar sein.

2. Aufbewahrungspflicht (§ 630f Abs. III BGB)
Der Behandelnde hat die Patientenakte für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach anderen Vorschriften andere Aufbewahrungsfristen bestehen (z.B. in § 85 Abs. 3 StrlSchV, § 28 RöV = 30 Jahre).

Auch bei Praxisaufgabe gelten die Aufbewahrungspflichten in der Person des behandelnden Behandlers fort. Wird die Praxis auf einen Nachfolger übertragen, kann im Innenverhältnis mit dem Nachfolger die Übertragung der Aufbewahrungspflicht vereinbart werden, wobei im Verhältnis zum Patienten zur Wahrung der Schweigepflicht für eine adäquate Verschlusssicherheit gesorgt werden muss. In der Praxis bewährt hat sich dabei das sogenannte „Zwei-Schränke-Modell“ mit der Einrichtung eines eigenen Patientenaktenschrankes für Altakten des Praxisübergebers für die (noch) keine Einwilligung des betroffenen Patienten zur Einsicht bzw. Weiterbehandlung vorliegt.

3. Einsichtsrechte des Patienten
Dem Patienten ist auf Verlangen Einsicht in die vollständige Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen. Die Einsichtnahme ist grundsätzlich unverzüglich zu gewähren. Das Einsichtsrecht bezieht sich grundsätzlich auf die vollständige Patientenakte im Original einschließlich etwaiger Dokumentationen über persönliche Eindrücke und subjektive Wahrnehmungen des Behandlers (BT-Drs. 17/10488 S. 27) einschließlich der Ergebnisse bildgebender Verfahren.
Ein Anspruch auf Herausgabe von Originalunterlagen besteht jedoch nicht. Die Einsichtnahme hat grundsätzlich am Ort der Aufbewahrung der Originalunterlagen, in der Regel also in der Arztpraxis bzw. Klinik, zu erfolgen.

Eine Herausgabe der Originalunterlagen kann vom Patienten selbst jedoch in der Regel nicht beansprucht werden, da die Dokumentation Eigentum des Arztes ist (BGH NJW 1983, 328; BVerfG NJW 2006, 1116). Der Patient kann jedoch (elektronische) Abschriften von der Patientenakte verlangen. In der Praxis wird das Einsichtsrecht deshalb regelmäßig durch Anforderung einer vollständigen Kopie der Patientenakte einschließlich der bildgebenden Befunde ausgeübt.

Im Fall des Todes des Patienten stehen die Einsichtsrechte zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen Interessen seinen Erben zu. „Vermögensrechtlich“ ist jedes Interesse, das sich als wirtschaftlicher Wert in Geld oder geldwerten Gütern ausdrücken lässt. Erfasst wird insbesondere das Interesse an der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs wegen einer fehlerhaften Heilbehandlung oder das Interesse an der Abwehr eines Honoraranspruchs des Behandelnden. Auch die Klärung der Geschäftsfähigkeit oder Testierfähigkeit des Patienten zur Klärung der Wirksamkeit eines von diesem eingegangenen Rechtsgeschäft oder einer letztwilligen Verfügung betrifft ein vermögensrechtliches Interesse. Das Einsichtsrecht fällt gemäß § 1922 BGB in den Nachlass und daher steht gemäß § 2039 BGB allen Erben gemeinschaftlich zu. Ein Miterbe kann somit die Herausgabe der Krankenunterlagen von dem Behandler zwar allein, aber nur an alle Erben fordern.

Das Recht des Erben auf Einsichtnahme in die Patientenakte des Verstorbenen ist jedoch ausgeschlossen, soweit der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Verstorbenen entgegensteht (§ 630g Abs. 3 S. 3 BGB) (BT-Drs. 17/10488, S. 26 f.). Die Bereitschaft des Erblassers wird dabei zunächst gesetzlich vermutet. Der Behandler muss im Zweifel darlegen, weshalb die (ggf. volle) Einsicht in die Krankenunterlagen dem/ den Erben Erkenntnisse vermitteln würde, die der Verstorbene ihnen vermutlich vorenthalten wollte (BGH Urt. v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627).

Gemäß § 630g Abs. 3 S. 2 BGB haben daneben auch „die nächsten Angehörigen“ unabhängig von einer Erbenstellung ein Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen des verstorbenen Patienten. Ihr Einsichtsrecht ist beschränkt auf Fälle der Geltendmachung „immaterieller Interessen“. Die Auslegung des Begriffs der „nächsten Angehörigen“ ist im BGB nicht definiert und hat in Anlehnung an § 77 Abs. 2 StGB zu erfolgen: Danach sind nächste Angehörige in erster Linie der vorhandene Ehegatte, Lebenspartner im Sinne des LPartG sowie die Kinder des Verstorbenen. Sind weder Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden, steht das Einsichtsrecht den Eltern des Verstorbenen zu. „Immateriell“ ist jedes ideelle Interesse, das sich nicht in Geld oder geldwerten Gütern ausdrücken lässt. Hierunter fällt etwa das Interesse an der Klärung einer Todesursache zu Zwecken der Nebenklage im Strafprozess, das Interesse an der postmortalen Geltendmachung von Persönlichkeitsrechten, aber auch die Klärung von Erbkrankheiten im eigenen Interesse oder das Stellen eines Strafantrags, etwa nach § 205 Abs. 2 Satz 1 oder § 230 Abs. 1 i.V.m. § 77 Abs. 2 StGB.

4. Dokumentationspflichtverletzungen und ihre Folgen
Zunächst einmal gilt: Ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht ist für sich genommen noch kein Behandlungsfehler, d. h. der Patient kann also allein auf die Tatsache, dass zu wenig oder zu ungenau dokumentiert wurde, noch keinen Haftungsanspruch gegen den Behandler stützen. Allerdings können sich für den Patienten im Arzthaftungsprozess gravierende Beweiserleichterungen ergeben, wenn von Seiten des Behandlers unzureichend dokumentiert wurde: Ein nicht in der Patientenakte dokumentierter, aber dokumentationspflichtiger Umstand, wird nämlich beweisrechtlich als nicht existent behandelt – die nicht aufgezeichnete aber dokumentationspflichtige Maßnahme gilt also kraft gesetzlicher Vermutung als unterblieben (vgl. auch BGH NJW 2015, 411).

So wird im Falle der unzureichenden Dokumentation der Anamnese vermutet, dass der Arzt keine oder nur eine unzureichende Anamnese erhoben hat. Vergleichbares gilt für die Diagnose sowie für Untersuchungen und deren Ergebnisse, für Befunde, für Therapien und deren Wirkungen, für Eingriffe und seine Wirkungen bis hin zur Einwilligung und Aufklärung.

Als Beweismittel für den vom Behandler gegen die gesetzliche Vermutung zu führenden Gegenbeweis, dass er die nicht aufgezeichnete aber dokumentationspflichtige Maßnahme doch durchgeführt hat, kommen Zeugen- oder Parteivernehmungen des/der Behandler, der medizinischen Fachangestellten und Krankenschwestern/Pflegekräfte in Betracht. Deren Beweiswert ist aber häufig gering, wenn die gerichtliche Vernehmung erst Jahre nach dem Vorfall erfolgt.

Oliver Graf
Rechtsanwälte Semsi & Graf, Singen


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